• Text 1:

ein Artikel vom 1. September 1945 von Wilhelm Münker. Darin beschreibt er seine Vorstellungen wie sich unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg die Gebirgs- und Wandervereine sowie die Naturfreunde gemeinsam organisieren könnten.

  • Text 2:

ein Kommentar zum Text von Wilhelm Münker von Hans Peter Schmitz, der im Jahr 2002 Vorsitzender der Naturfreunde Köln war

Unter dem Briefkopf „Sauerländischer Gebirgsverein“ schrieb der Leiter des „Heimat- und Naturschutz-Ausschusses“ Wilhelm Münker am 1. September 1945 folgendes Memorandum:

Zum Wiederaufbau des deutschen Gebirgsvereins- und Wanderwesens

Untertitel: Müssen die Gebirgs- und Wandervereine und die „Naturfreunde“ unbedingt auf getrennten Wegen der Natur zustreben?

In den 80er und 90er Jahren (zwischen 1880 und 1900 d. R.) entstanden die deutschen Gebirgs- und Wandervereine. Sie waren anfänglich im „Verband deutscher Touristen- und Gebirgsvereine“, später im „Reichsverband der deutschen Gebirgs- und Wandervereine“ umgetauft, zusammengefaßt. Diese Vereine haben durch Wegebezeichnung, Wegebau, Bänke, Aussichtstürme, Volkstumsarbeit, Geschichtsforschung, teilweise auch auf dem Gebiet von Natur- und Heimatschutz, viel Segen gestiftet. Vor allem waren sie durch ihre Wanderungen Bahnbrecher auf dem Wege zur Natur.

Wilhelm Münker gründete im Jahr 1909 das Deutsche Jugendherbergswerk und war später Vorsitzender des Sauerländischen Gebirgsvereins SGV.

Aber wirklich volkstümlich sind sie nicht geworden. Sie haben sich nicht in befriedigender Weise durchgesetzt. Bei einem 70 Millionen-Volk sind sie über rund eine Viertel Million nicht hinausgekommen. Eine dürftige Zahl. Nach anfänglichem starken Aufschwung blieben sie vielmehr seit rund 40 Jahren auf der gleichen Stufe stehen. Namentlich in den breiten Schichten der Arbeiterschaft konnten sie nur wenig Fuß fassen. Eine unbestrittene Tatsache ist das bedenkliche Fehlen des Nachwuchses, und die Überalterung bei weitaus den meisten Vereinen in der Führung und im Mitgliederstande sowohl bei den örtlichen Vereinen wie bei den Hauptvorständen.

So war es möglich, daß nach dem ersten Weltkrieg immer mehr der Touristenverein „Die Naturfreunde“ hochkam. Seine Wiege und sein Sitz war in Wien; später wurde ein Reichsleiter für das Altreich bestimmt. Der Verein war linkspolitisch (SPD) ausgerichtet, aber unbestreitbar in recht gemäßigter Weise.

Bis zum zweiten Weltkrieg waren die „Naturfreunde“ stark an die Mitgliedszahlen der Gebirgs- und Wandervereine herangekommen. Sie entwarfen ein Netz von durchgehenden Reichswanderstrecken, zunächst von Nord nach Süd und von West zu Ost. Das weiße „N“ zeigte sich an vielen Stellen und wurde meist als störend im sonst einheitlich geregelten Netz der Wegebezeichnung empfunden.

Beide Verbände haben ihre Licht- und Schattenseiten. Die Gebirgs- und Wandervereine hatten die Überlieferung, die größeren Leistungen, einstweilen auch den größeren Einfluß auf ihrer Seite, die Naturfreunde die größere Opferwilligkeit, die jüngere Kraft sowie die großen Massen der linksgerichteten Arbeiter als Zustrom für ihre Mitgliederreihen.

Die Naturfreunde zahlen 10 – 12 Mark Beitrag, während man in den Gebirgsvereinen bei 3 – 4 Mark blieb und oft über 50 Pfg. – 1 M feilschte. Die Naturfreunde haben im Schweiße ihres Angesichtes manches treffliche Wanderheim selbst errichtet. Mit umfassender Werbung und mit steigender Zahl der Wanderführer wäre ihnen ziemlich sicher ein weiterer starker Aufstieg beschieden gewesen. 1933 aber machte die NSDAP ihrem Wirken ein Ende. Ihre Schattenseite war ihre politische Bindung.

Jetzt stehen wir nach dem zweiten verlorenen Krieg auf allen Gebieten vor der schwierigen Aufgabe des Wiederaufbaues. Da hat die erste Frage zu lauten: War der frühere Zustand wünschenswert? Müssen wir unbedingt wieder an das Frühere anknüpfen? Oder wollen wir nicht lieber aus den Fehlern der damaligen Zeit lernen und jetzt ganze und zwar gemeinsame Sache machen?

Beide Verbände müssen sich einen Ruck geben. Die Gebirgs- und Wandervereine müssen den Willen zur Volksgemeinschaft mit Nachdruck zur Geltung bringen, also überzeugt und freudig noch mehr als bisher bei der Arbeiterschaft Boden gewinnen. Die Naturfreunde müssen sich die Frage vorlegen, ob der Weg ins Grüne unbedingt – bildlich gesprochen – politisch gezeichnet werden muß.

Wenn die Naturfreunde sich stark genug fühlen, werden sie früher oder später das Recht der Wegebezeichnung in Anspruch nehmen. Könnte das ohne Wirrwarr draußen abgehen? Läge nicht die Gefahr nahe, daß man sich hier und da mit Pinsel, Farbtopf und Haumesser in die Haare geriete? Wir haben keine katholischen und evangelischen Wanderwege. Brauchen wir da unbedingt sozialistische oder gar kommunistische?

Macht Einigkeit nicht stark? Würde gerade in diesem Falle eine geschlossene Front nicht viel stärker machen und das deutsche Wanderwesen aus seiner Aschenbrödelrolle herausbringen können? Schafft nicht Spaltung dagegen Leerlaufarbeit, Reibung, Verdruß und Lähmung? Um die Schiefheit der Lage möglichst deutlich erkennen zu lassen, noch ein paar Beispiele:

  • Die 3 skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen und Schweden haben starke Wanderverbände. Zugleich sind sie meist zufolge ihrer Links-Mehrheiten sozialistisch regiert. Wer aber hat etwas davon gehört, daß es dort auch besondere linke Wanderverbände gibt?
  • Hat irgend jemand etwas davon vernommen, daß es neben dem französischen Vogesenclub oder dem tschechischen Böhmerwaldverein noch einen politisch ausgerichteten Verein gäbe?
  • Was würde man sagen, wenn sich jetzt auftäten
  • ein katholischer Alpenverein,
  • ein kommunistischer Gebirgs- und Wanderverein in der russ. Zone,
  • ein evangelischer Jugendherbergsverband in der amerikanischen Zone?

Ich hoffe zuversichtlich, daß auch die Zentralleitung der Naturfreunde in Wien diese Dinge ohne Voreingenommenheit einer gründlichen Prüfung unterzieht. Sollten sie sich wegen (muß das nicht heißen: gegen?, d. R.) eine freundschaftliche Verschmelzung der beiden Verbände aussprechen, so würden die maßgebenden Männer der Naturfreunde im Reich sich nicht der Pflicht entziehen wollen, auch ihrerseits alle Gründe und Gegengründe gewissenhaft und verantwortungsbewußt auf die Waagschale zu legen. Die Gelegenheit kommt nie wieder.

Mutter Natur ist doch noch der einzige Boden des Friedens. Haben wir nicht Unfrieden genug nach außen? Wollen wir uns selbst auch diesen Quell der Kraft und Erholung noch vergällen und vergiften? Die Stunde der ernsten Prüfung für beide Seiten ist da. Hand aufs Herz – ist die Spaltung wirklich naturgegeben? Oder ist sie künstlich? Wer kann letzteres bestreiten? Also laßt die Schranken fallen! Bei gutem Willen würden wir uns nötigenfalls unschwer auch über einen neuen Namen verständigen.

Deutschland ist das Ursprungsland des Wanderns. Manche Länder sind uns gefolgt. Keiner aber hat politisch getrennte Wanderverbände. Wollen wir – (unleserlicher Einschubsatz) – ein so wenig rühmliches Beispiel der Welt geben? Wollen wir nicht vielmehr unsere Losung sein lassen „Auf dem Wege zur Natur gibt es kein Rechts und kein Links“, die einst ein Führer der Linken aussprach?

Hilchenbach, Kreis Siegen, Unterschrift von Wilhelm Münker, den 1. September 1945

Mitglied des engeren Hauptvorstandes Des Sauerländischen Gebirgsvereins, Geschäftsführer des Hauptverbandes für Jugendherbergen und Jugendwandern


ein Kommentar dazu von Hans Peter Schmitz, der im Jahr 2002 Vorsitzender der Naturfreunde Köln war

Ob dieser Brief der damaligen Naturfreunde-Leitung (eine Reichsleitung gab es nicht mehr, eine Bundesleitung noch nicht, die Naturfreunde waren überhaupt noch nicht wieder zugelassen, im Gegensatz zu den Gebirgs- und Wandervereine, die sich im Nazistaat hatten „gleichschalten“ lassen) zugegangen war und dort bearbeitet wurde, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls ist der Kelch eines Zusammenschlusses mit einem von Menschen wie Wilhelm Münker geleiteten Verband erspart geblieben.

Das Schreiben in allen Einzelheiten zu analysieren, dazu fehlt hier der Platz; es wäre auch müßig, denn die Zeit ist darüber hinweggegangen. Aber einige Aspekte möchte ich doch beleuchten, um klarzustellen, wes (Un)Geistes Kind Münker war.

Zunächst reduzierte er eventuelle Probleme zwischen seinem Verband und den Naturfreunden auf die Problematik des Wegezeichnens. Die in der Tat vorhanden gewesenen Probleme sind seit Jahrzehnten zu beiderseitiger Zufriedenheit gelöst: Wir zeichnen nur Verbindungswege zu unseren Häusern sowie solche von dort zu den Hauptwanderwegen der Gebirgs- und Wandervereine, eine Absprache ist nötig und macht keine Probleme. Aber so einfältig kann Münker ja nicht gewesen sein! Unsere politische Arbeit schien ihm eine gefährliche Konkurrenz zu sein, sie wollte er auf jeden Fall ausschalten. Dafür war er sogar bereit, einen neuen – wohl „neutralen“ – Namen zu suchen.

Natürlich war er auch an dem interessiert, was ihn in den 20er Jahren wohl sehr beeindruckt hat: die „Opferwilligkeit“ der Naturfreunde-Mitglieder.

Seine geistige Haltung lässt sich neben dem aus dem Nazireich stammenden Wortschatz an einem einzigen Satz erkennen: „Ihre Schattenseite war ihre politische Bindung“. Unsere, die politische Ausrichtung und die politischen Aktivitäten der Naturfreunde war unser Makel. Kein Wort von der nur nach außen unpolitischen Arbeit seines Verbandes, der im Gleichklang mit dem Faschismus diesem die Menschen zutrieb. Wer von denen war im KZ, wer wohl wurde gefoltert? Welcher Gebirgs- und Wanderverein wurde enteignet? Der Mitglieder jüdischer Abstammung hatte man sich wohlweislich entledigt.

Natürlich, die Situation im Verband der Gebirgs- und Wandervereine ist heute eine ganz andere, ebenso wie bei den Naturfreunden. Aber Unterschiede gibt es nach wie vor. Diese müssen wir schärfer herausstellen und kenntlich machen. Nur so können wir „unsere Nische“ im Angebot erhalten und nutzen.

Hans Peter Schmitz (Naturfreunde Vorsitzender Köln 2002)