Naturfreunde – Die Idee – die zur Tat wurde

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Gedanken zur Entstehung, Entwicklung und Zukunft der Naturfreunde-Organisation

von Hans Peter Schmitz, 2002

Seit Gründung der Naturfreunde im Jahre 1895 sind fast 110 Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich das Leben auf der Erde mehr verändert als in 2.000 Jahren vorher. Es gab bahnbrechende Erfindungen auf allen Gebieten von Wissenschaft und Technik, ohne die wir heute nicht so leben könnten, wie wir es tun; ob das alles gut war und ist, sei hier nicht untersucht. In dieser Zeit gab es zwei verheerende (Wie dieses Wort „-heer-„ doch passt!) Weltkriege, es wurden die Monarchien in Österreich und Deutschland abgeschafft, es gab Faschismus und Stalinismus in unserem Lande. Die Diktaturen gingen vorüber – die eine in Blut und Asche in einem selbst verschuldeten Krieg, die andere auf friedliche Weise.

Man muss sich das alles oft genug vor Augen halten, weil die Fülle neuer Eindrücke, die tagtäglich auf uns eindringen, wichtige Tatsachen und die Kenntnisse der Zusammenhänge allzu leicht verdrängen und vergessen machen. Die Naturfreunde waren in die geschichtlichen Vorgänge eingebunden, zumeist als Opfer und Spielball der Mächtigen, in manchen Dingen aber auch als Handelnde – als Vor-Denkende. Daran zu erinnern ist notwendig, denn wir können heute Mut und Kraft schöpfen aus den Gedanken und Taten der Vereinsgründer und derjenigen, die den Verein in weitaus schwierigeren Zeiten als heute groß gemacht und erhalten haben.

Die Broschüre zeigt auf, wie und weshalb die Naturfreunde-Organisation entstand und dass damals die Zeit „reif“ dazu war. Es wird die heutige Tätigkeit des Vereins dargestellt und schließlich wird eine Prognose auf die Zukunft gewagt.

Wie es anfing …

Die Lage der Arbeiterschaft in den großen Industriestädten ausgangs des vorigen Jahrhunderts war denkbar schlecht. Die Industriealisierung hatte einerseits dazu geführt, dass viele Menschen vom Lande in die Städte strömten und sich dort ein besseres Leben erhofften, andererseits verursachten moderne Produktionsmethoden höheren Produktausstoß bei weniger Arbeitskräften und dies bei abnehmender Nachfrage. Überproduktionen führten zu Massenentlassungen – wie sich doch alles wiederholt! Arbeitskraft und Arbeiter verloren an Wert. Wer den Fabrikherren nicht genehm war, wer ihnen nicht genug Gewinn einbrachte, wurde entlassen. Es kam – bedingt durch die große, elementare Not der Arbeiterschaft – immer wieder zum Lohndumping (wie man es heute nennt). Eine Sozialversicherung gab es nicht.

Die Wohnverhältnisse waren miserabel. Vielerorts wohnten die Familien in den Fabriken, mehrere in einem großen Zimmer. Wer eine Wohnung hatte, konnte sie nur bezahlen, wenn er sein Bett in den nicht benutzten Zeiten vermietete – der Tagschichtler z.B. tagsüber an den Nachtschichtler; „Schlafgänger“ oder „Bettgeher“ nannte man sie (1890 in Steyr/Österreich 16,6% der Bevölkerung!)

Viele Fabrikherren zahlten nicht in gültiger Währung; sie gaben eine Art Betriebsgeld aus, für das in den fabrikeigenen Konsumanstalten zu überteuerten Preisen eingekauft wurde. Wer seinen Bedarf außerhalb decken wollte, dem drohte die Entlassung und damit das völlige Elend.

Viktor Adler, der Gründer der Sozialdemokratischen Partei in Österreich, hat sich 1888 als Reporter in eine Wiener Ziegelei eingeschlichen (So etwas kennt man heute von Wallraff.) und darüber berichtet (Die Gleichheit, 1.12.1888):

„Auch heute schläft noch eine Männerpartie in und auf dem Ringofen. Schlafen sie da im Heizraum, so haben sie eine unausstehliche Hitze auszustehen; schlafen sie oben, so überweht sie die kalte Nachtluft. Von Auskleiden ist natürlich keine Rede. Unter dem Kopf einen Haufen Kohle, decken sie sich mit dem schmutzigen Rock notdürftig zu. Wer sich Bretter oder Ziegel als Kopfpolster nimmt, ist in Gefahr, geprügelt zu werden, wenn er erwischt wird. Die Sträflinge in Sibirien sind besser versorgt als diese Leute, die das Verbrechen begehen, die fetten Dividenden für die Aktionäre der Gesellschaft zu erzeugen.“

Das Volk war – in Österreich wie in Preußen und anderswo – weitgehend von politischen Entscheidungen ausgeschlossen. Nach 1890 wurden in Österreich die Forderungen nach einem gleichen und freien Wahlrecht drängender und noch 1894 wurden Massenversammlungen mit Waffengewalt aufgelöst, wobei es Tote und Verletzte gab: Kaiser Franz Josef I. ließ auf seine Landeskinder schießen. (Siehe dazu auch weiter unten.)

Im Jahre danach gab es dann ein Wahlrecht auch für den ‚kleinen Mann‘, aber was für eines: 5,5 Millionen Bürger mit geringem Einkommen durften 72 Abgeordnete wählen, die 1,7 Millionen Bessergestellten hingegen 310! Immerhin führte diese Wahlrechtsänderung zu einer Stabilisierung der Arbeiterparteien.

Zu den politischen und sozialen Ungerechtigkeiten kam der Mangel an Bildungsmöglichkeiten für die Arbeiterschaft und ihre Kinder. Ein Gemeinschaftsbewusstsein der untersten Klasse konnte sich nicht ausbilden. Der Teufelskreis aus Armut und Hoffnungslosigkeit lähmte jede auf Verbesserungen zielende Regung. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen war das Ziel eines Wiener Lehrers – Freidenker und Sozialist Georg Schmiedl. Er verkehrte in Kreisen von Lebensreformern, zu denen Viktor Adler gehörte, auch Künstler und Intellektuelle, z.B. Gustav Mahler und Hugo von Hofmannsthal. Dort diskutierte man über die Lösung der sozialen Probleme.

Schmiedl, ein begeisterter Naturliebhaber und Wanderer, hatte die Idee, die vom tristen Dasein geschwächten und entmutigten Menschen hinaus zu führen in die Natur, sie im wahren Wortsinne „frische Luft“ atmen zu lassen. Der Pädagoge wollte „aus Arbeitstieren Arbeitsmenschen“ machen, er strebte die „Ausgeglichenheit der Seelen“ an. Georg Schmiedl warb vom 22. bis 24. März 1895 in der Wiener Arbeiterzeitung für die Bildung einer „Touristischen Gruppe“ und hatte damit großen Erfolg. Er erhielt etwa 30 Zuschriften, darunter eine des Sensenschmiedes Alois Rohrauer, der dem Verein viele Jahre vorstehen sollte. Mit ihm meldeten sich Rohrauer junior und ein gewisser Karl Renner an. Renner wurde später Kanzler der Republik Österreich und nach 1945 Bundespräsident. Er verfasste auch die erste Satzung, das „Statut“.

Bereits Ostern fand die erste Wanderung statt; als Erkennungszeichen am Bahnhof trug man die Arbeiterzeitung unter dem Arm. Man wanderte von Mödling auf den Anninger. Am 16. September 1895 fand die vereinsrechtliche Gründung statt; an dieser Versammlung nahmen bereits 185 Personen teil! Schon seit dem 1. September gab es ein monatliches Programmheft.

Den führenden Sozialdemokraten war das alles nicht genehm. Sie fürchteten, die Arbeiter könnten dem gewerkschaftlichen und politischen Engagement entzogen werden. „Ich hab’s mir gleich gedacht, dass Sie der Narr sind“, soll Viktor Adler zu Schmiedl gesagt haben. Doch bald sahen sie ein, dass die Menschen in der freien Natur nicht nur Kraft und Erholung fanden, um gestärkt ihrer Arbeit nachgehen zu können; sie erfuhren endlich, dass es außer Arbeit, Wirtshaus und Bett noch etwas anderes gab, wofür zu kämpfen lohnte.

Der Buchdrucker Leopold Happisch, Sekretär des Vereins, schilderte seine Gefühle nach einer Sonderzugreise 1899 nach Zell am See, an der 600 Personen teilgenommen hatten:

„Wohl mag es für viele, die am 12. August mit uns fuhren, die erste, für viele die einzige Vergnügungsfahrt im ganzen langen Jahre gewesen sein! Die meisten Teilnehmer mögen durch viele Wochen, durch Monate ihre sauer erworbenen Kreuzer zusammengetragen haben, um einmal – ein einziges Mal – sich jenen Genüssen hinzugeben, die ihnen sonst versagt sind, die als Vorrecht der Besitzenden gelten.“

Nun braucht ein Verein, der einer sein will, so seine spezifischen Zeichen; das war damals in Österreich nicht anders als heute in unserem Lande. Renner entwarf das Abzeichen mit den verschlungenen Händen und den drei roten Alpenrosen, das noch heute, wenn auch in abgewandelter Form, gebräuchlich ist. Der Handschlag war Symbol für die Solidarität untereinander; in die drei Alpenrosen hat man vieles hineingeheimnist, so auch die Losungsworte der französischen Revolution von 1789: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“.

Also auch im Vereinsabzeichen der politische Hintergrund. Gleiches galt für den Gruß „Berg frei!“, der um die Jahrhundertwende eingeführt wurde. Die Berge waren nämlich keineswegs „frei für jedermann“. Die Grundbesitzer sperrten sie für ihnen nicht genehme Touristen. Es ist überliefert, dass im Blühmbachtal im Salzburger Land die Jagdhüter angewiesen waren, Bergwanderer zurückzuweisen und, wenn sie nicht gehorchten, auf sie zu schießen. Der Eigentümer war der Landesvater, der Kaiser. Dieser Zustand herrschte bis 1916!. Es gab in der Vereinszeitschrift eine ständige Rubrik: „Der verbotene Weg“.

So ging es weiter …

Die Vereinsgründer hatten, wie wir heute sagen würden, eine „Marktlücke“ entdeckt. Ende des Gründerjahres waren 191 Mitglieder eingeschrieben; 1897 gab es neben der Wiener Gruppe 2 weitere, um 1900 waren es fast 20. Im Jahre 1905 wurde der Verein international: Gruppen in Zürich und München entstanden. Andere Länder in Europa folgten. Viele wandernde Gesellen nahmen die Idee mit und halfen andernorts, neue Vereine zu bilden. Im Rheinland gab es die erste Gruppe in Köln (damals noch Cöln) ab 1911.

In den zwanziger Jahren kam es – analog zu den Arbeiterparteien und Gewerkschaften – zu internen politischen Gegensätzen, die zu Spaltungen und gar zu Ausschlüssen führten. Die Machtübernahme durch die faschistische Verbrecherclique bedeutete für die Naturfreunde das Ende. Der Verein wurde verboten, die Häuser und andere Sachwerte wurden enteignet, viele führende Mitglieder verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Nach den deutschen Naturfreunden ereilte dieses Schicksal alle, in deren Land sich der Faschismus ausbreitete.

Nach 1945 kam es bald zur Neugründung in Österreich, Deutschland und den befreiten Ländern; lediglich im sich bildenden Ostblock blieb der Verein verboten. Gründungsversuche waren erfolglos. In der DDR wurden die Arbeitsgebiete der Naturfreunde dem Kulturbund und den staatlichen Sportorganisationen übertragen.

Es ist bewundernswert, wie nach 1945, als niemand genug für sich selbst hatte, wo jeder besorgt war, für sich und seine Familie ein Dach, Kleidung und Nahrung, Heizmittel und Möbel zu beschaffen, Vereine wie die Naturfreunde geschaffen wurden.

Freizeit, aber nicht mal eben so

Es geht bei Naturfreunden das Wort um von der „sinnvollen Freizeitgestaltung“. Das soll heißen, dass man in seiner „freien“ Zeit – also in der Zeit, die man weder zum Broterwerb noch zur „Versorgung der Lebensfunktionen“ (Essen, Trinken und Schlafen) braucht – dass man in dieser Zeit etwas tut, was über den Augenblick hinaus wirkt. Dazu gehört, seine Talente zu entdecken und zu üben, die im täglichen Berufsalltag nicht benötigt werden und allzu leicht verloren gehen können, z.B. künstlerische. Dazu gehört, Erkenntnisse zu sammeln über die Zusammenhänge in der Natur oder der Gesellschaft und zwischen ihnen, Erkenntnisse über die vielfältigen Einflüsse, die Natur, Technik, Kunst auf uns haben. Dazu gehört auch, seinen Körper kennen zu lernen und ihn durch Bewegung gesund und leistungsfähig zu erhalten.

So war es bei den Naturfreunden von Beginn an. Bald nach Aufnahme der sonntäglichen Wandertätigkeit kamen Vereinsabende mit allgemein bildenden Themen hinzu. Der Bildungshunger muss unbändig gewesen sein – kein Wunder bei einem Schulsystem, das die Sehnsucht nach Wissen nicht im Entferntesten stillen konnte. Damals ging es vor allem um biblische und vaterländische Geschichte; etwas Lesen und das Einmaleins – das genügte.

Zwar sind unsere heutigen Schulsysteme mit denen der Gründerzeit der Naturfreunde nicht zu vergleichen, gibt es Dutzende von Einrichtungen der Erwachsenenbildung, können auch Kinder weniger reicher Eltern studieren – wie lange wohl noch? -, aber Vereine wie die Naturfreunde bieten mehr: Sie bieten den Freundeskreis, die Gemeinschaft Gleichgesinnter, die auch in persönlich schweren Zeiten dem Freund behilflich ist.

Öffentliche Einrichtungen wie die Volkshochschulen sind hingegen eher unpersönlich – man bezahlt für seinen Kurs, geht hin und ist danach wieder alleine, allerdings auch ohne weitere Verpflichtungen. Bei kommerziellen Anbietern ist es nicht anders. Sie offerieren ohnehin nur das, was gerade modern ist und Gewinn verspricht. Man muss allerdings den Eindruck haben, als ob diese Methode der Freizeitbeschäftigung dem heutigen Menschen eher entgegenkommt als die Vereine. Man darf diese Erscheinung für eine vorübergehende halten, denn der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und wird immer die Nähe zu anderen gleicher Interessen suchen – besonders die Nähe von Freunden.

Bei den Naturfreunden haben sich schon früh Menschen in Fachgruppen zusammengefunden – ohne den Kontakt zum Gesamtverein zu verlieren -, um sich ihren speziellen Interessen widmen zu können. Für alle Vereinstätigkeit sind, außer für das Wandern, Räume notwendig. Zunächst behalf man sich mit Wirtshaussälen, aber schon bald hatte man ein eigenes Vereinslokal in Wien, und damit begann der Aufbau unseres Häuserwerks.

Unsere Häuser – Stätten der Erholung und Begegnung

Es gibt den griffigen Spruch „Tausendundeine Nacht im Naturfreundehaus – aber jede in einem anderen“. Ob es genau 1.001 Häuser sind – wer weiß es, aber in Deutschland gibt es knapp 500, viele Hundert in Österreich, in der Schweiz, in den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien, Finnland, England, Dänemark, auch in den USA und in Afrika.

Viele der Häuser, besonders die älteren, sind in Eigenarbeit errichtet worden. Erst seit den 50er Jahren gab es öffentliche Zuschüsse für solche Häuser, die vornehmlich der Jugendarbeit zur Verfügung standen. Das erste Haus bauten die Naturfreunde schon 1907 auf dem Padasterjoch in Tirol. Die Eröffnung gab der jungen Organisation großen Auftrieb; schon bald entstanden weitere Häuser.

Es blieb den proletarischen Bergwanderern und Alpinisten auch nichts anderes übrig, als für eigene Unterkünfte zu sorgen. In den Berghütten der bürgerlichen Alpinvereine waren sie nicht gerne gesehen; diese waren auch für die meisten nicht bezahlbar. Zu der blanken Notwendigkeit kam der ungestillte Wunsch der Arbeiterschaft nach Eigentum, nach den „eigenen vier Wänden“, und sei es auch nur in Gemeinschaftseigentum. In solidarischer Zusammenarbeit vollbrachte die Gemeinschaft der Besitzlosen eine große Tat. Das Haus am Padasterjoch, von Arbeitern für Arbeiter gebaut, war ideell viel mehr wert als materiell. Happisch beschrieb das später so: „Jedes neu erbaute Naturfreundehaus ist ein Stück gewonnener Klassenkampf“. Heute mag das antiquiert klingen; man muss sich halt in die Lage der Menschen von damals hinein versetzen, um es ganz zu begreifen.

Der Hausbau boomte besonders nach 1919. Die wenigen noch lebenden Mitglieder erzählen davon, z.B. die Kölner. Sie fuhren samstags am späten Nachmittag mit der Eisenbahn zum Siebengebirge, im Rucksack Steine und anderes Baumaterial. Bergauf ging es in zweistündigem Fußmarsch auf das Plateau des Himmerich, um die dort stehende alte Steinbruchbaracke in ein Naturfreundehaus umzubauen. Spät am Sonntag fuhr man zurück.

Die Kölner Gruppen und ihre Häuser:

  • Köln-Höhenhaus
  • Köln-Mitte
  • Köln-Kalk
  • Haus Hardt:

Das Haus Himmerich wurde 1933 von den Nazihorden niedergerissen; noch in den 50er Jahren fand man im Geröll unterhalb der Basaltkuppe Einrichtungsgegenstände. Nach 1945 konnte das Haus aus Gründen des Landschaftsschutzes nicht wieder erstehen. Dies ist ein Beispiel, dem leicht weitere hinzugefügt werden können. Heute gibt es – wir lasen es schon weiter vorne – an die 500 Häuser in der Bundesrepublik. Hinzu kommen weitere Häuser, die als Stadtheime für Jugendgruppen und die sonstige Vereinstätigkeit zur Verfügung stehen.

Die Bandbreite ist sehr groß: von der Berghütte über Jugendherbergen bis zu komfortablen Häusern für Familienerholung. Diese Häuser stehen jedermann offen. Sie dienen insbesondere der Gemeinschaft, auch der internationalen. Sehr häufig werden Freizeiten mit Menschen aus mehreren Ländern durchgeführt. Eigentlich versteht sich von selbst, dass Naturfreundehäuser nach ökologischen Gesichtpunkten geführt werden. Auch die zugehörigen Gärten sollen naturnah gepflegt bzw. bewirtschaftet werden. Das weiße N mit einem Pfeil führt immer zu einem Naturfreundehaus, einer Stätte freundlicher Begegnung.

Wandern und Reisen – mehr als körperliche Bewegung

„Was ich nicht erlernt, das hab‘ ich erwandert“; diesen Ausspruch schreibt man Goethe zu, von dem man weiß, wie oft und gerne er seine Füße dazu benutzt hat, fremde Gegenden kennen zu lernen. Unser alter Freund Siegfried Bartosch sagt es direkter: „Was du abläufst deinem Schuh‘, das wächst dem Kopfe doppelt zu.“

Allerdings muss sich der Wanderer, der Reisende wohl etwas mühen, offenen Auges gehen und auf alles achten, was es zu entdecken gibt. Und zu entdecken gibt es vielerlei Dinge aus der Natur und der Kultur, auch die sozialen Gegebenheiten sind beachtenswert. Natur und Kultur, Sozialstruktur und geschichtliche Entwicklung sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Dies zu erkennen und zu durchleuchten kann ungemein spannend sein.

So ist es in vielen Gruppen der Naturfreunde üblich, Wanderungen unter ein Thema aus Natur- und Heimatkunde zu stellen. Für solche Art des Wanderns prägte man schon in den 20er Jahren den Begriff „Soziales Wandern“: Unterwegs mit den Menschen der Region reden, Bauernhöfe, Handwerks- und Gewerbebetriebe besuchen und sich über die sozialen Strukturen und Probleme informieren.

Im Landesverband Rheinland kam der Begriff „Soziale Pedale“ auf und steht für Fahrradtouren, zumeist über mehrere Tage und mit Inhalten, wie oben beschrieben. Die Naturfreunde haben ihren Anteil an der Entwicklung zum Massentourismus, indem sie von Beginn an für das Recht eines jeden eintraten, Reisen zu unternehmen. Sie haben aber früh erkannt, zu welchen Problemen das in den Ferienregionen führen muss. Deshalb kam bereits vor 1933 das Wort vom „sanften Tourismus“ auf. Das meint Reisen und Wandern in kleinen Gruppen, Übernachtungshäuser in überschaubarer Größe und der Landschaft angepasst. Dazu gehören Maßnahmen, die weder der Natur noch der Kultur und der Sozialstruktur der Zielregion nachhaltigen Schaden zufügen oder sie verfremden. Die Naturfreunde bemühen sich bei allen Unternehmungen, diese Vorsätze einzuhalten. Das gilt besonders für die Sportarten, die in der freien Natur ausgeführt werden.

Die Natur braucht Freunde

In den Schriften des Vereins, die kurz nach der Jahrhundertwende herauskamen, findet man bereits Artikel über die Zerstörung der Natur. Das Wissen der Naturfreunde um die Zusammenhänge im Haushalt der Natur – heute mit Ökologie bezeichnet -, gepaart mit einem kritischen Bewusstsein, befähigte sie zu Erkenntnissen und zu Analysen über die Gründe der Naturzerstörung. Nach dem erst sehr viel später geprägten Wort „Erleben – erkennen – handeln“ (2. Bundestreffen 1982 in Neustadt/Pfalz) prangerten sie erlebte und erkannte Fehlentwicklungen an und machten Vorschläge zur Abhilfe. 1915 gab es erste Klagen über die Verschandelung der Natur (damals in der Schweiz) mit großflächigen Reklametafeln in der Landschaft: optische Umweltverschmutzung.

Der Naturschutzbegriff wandelte sich mit dem 1. deutschen Naturschutzjahr 1970. Man begriff zunehmend die Komplexität, man erkannte, wie in der Natur alles miteinander vernetzt ist. 1973 änderten die Naturfreunde ihre Satzung und setzten statt Naturschutz den umfassenden Begriff Umweltschutz.

Unzählig sind die Aktionen der Naturfreunde in den Zeiten, wo es weder WWF noch BBU oder BUND gab und sich die Vogelschützer nur um deren Schutz kümmerten und der normale Bürger unter Naturschutz nur soviel verstand, dass er kein Edelweiß und keine Weidenkätzchen pflücken durfte. In den 20er Jahren besetzten junge Naturfreunde ein Heidegebiet nordöstlich von Dresden, um einen Truppenübungsplatz zu verhindern, 1954 zogen sie in großer Zahl zum Knechtsand, einem Vogelschutzgebiet an der Nordsee, das als Bombenabwurf-Übungsgebiet herhalten musste, nachdem der englischen Luftwaffe die weitere Zerstörung Helgolands untersagt wurde. 1988 seilten sich Naturfreunde-Bergsteiger von der Londoner Tower-Bridge ab, um gegen die Verschmutzung der Nordsee zu protestieren.

Dies sind nur drei von vielen spektakulären Aktionen. Vielerorts wurden seit etwa 1965 Aktionsgemeinschaften zum Schutz von Natur und Umwelt ins Leben gerufen, in denen Naturfreunde-Mitglieder führend tätig waren. Wir legen verstärkt besonderen Wert darauf, unsere eigenen Aktivitäten „umweltgerecht“ zu gestalten; dazu gehören auch die Naturfreundehäuser. Inzwischen sind einige Landesverbände nach § 29 Bundesnaturschutzgesetz als Umweltschutzverband anerkannt.

Seit dem Internationalen Naturfreunde-Kongress 1988 im englischen Brighton werden die Möglichkeiten einer international tätigen Organisation verstärkt genutzt. Seit dieser Zeit wird alle zwei Jahre eine Region zur „Landschaft des Jahres“ ausgerufen. Diese Region muss mindestens zwei Staaten umfassen, von besonderem Reiz und gefährdet sein. Gemeinsam mit den in den Gebieten ansässigen Organisationen und Institutionen werden die Probleme aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Dies hat schon mehrfach zu Unterschutzstellungen geführt. In den Jahren 1991/92 war die Region Eifel / Ardennen mit einem seltenen ökologischen Kleinod HOHES VENN Landschaft des Jahres.

Nun wurde noch kein Wort geschrieben über die Urquelle unserer Naturschutztätigkeit, über die Fachgruppen für Natur- und Heimatkunde, die im Rheinland seit 1921 besteht. Viele naturforschende Laien haben im Laufe der Jahre ein kaum noch zu überschauendes Wissen zusammengetragen, dokumentiert in Schriften, Diasammlungen und präparierten Originalen. Die Maxime der Naturkundler war von Beginn an: Streng wissenschaftlich arbeiten, aber die Erkenntnisse für den Laien verständlich mitteilen .

Viele Mitglieder der Fachgruppen haben die Anerkennung von Fachwissenschaftlern gefunden und sind in wissenschaftlichen Instituten tätig geworden. Einige Namen sind in Bezeichnungen für neu entdeckte Phänomene festgeschrieben, so der Name Spiegel (Peter Spiegel, Bergisch Gladbach) in der Bezeichnung einer versteinerten Muschel aus der Gladbacher Kalkmulde. Vor wenigen Jahren fand der Name der Bergisch Gladbacher Familie Rebske Eingang in die Fachliteratur als Zusatz zum Namen einer von ihnen bei Waxweiler in der Eifel gefundenen Klein-Alge aus dem Devonmeer. Das naturkundliche Museum der Duisburger Naturfreunde ist nicht nur staatlicherseits anerkannt und in den Verzeichnissen der öffentlichen Museen aufgeführt, es ist auch sehenswert.

Ein bedeutendes Hilfsmittel für die Dokumentation und für die Vermittlung der Erkenntnisse ist die Fotografie. Unsere Natur- und Heimatkundler sind deswegen in der Regel gute und emsige Fotografen. Wir versuchen, jungen Menschen ein natürliches Verhältnis zu ihrer Umwelt zu vermitteln. Dem dient die Aktion „Umweltdetektive“ für Kinder von 8 bis 12 Jahren. Sie sollen auf spielerische Art und Weise mit den Erscheinungen und den Zusammenhänge der Natur vertraut gemacht werden. Für das Ausfüllen von „Erlebnisbögen“ zu verschiedenen Themen erhalten sie den „Umweltdetektiv-Ausweis“. Viele Schulklassen haben sich dieser Aktion angeschlossen.

Naturfreunde-Kultur

Klingt das nicht etwas überheblich? Haben Naturfreunde etwa eine andere Kultur? Zumindest haben sie eine andere Definition von Kultur. Der bürgerliche Kulturbegriff beschränkt sich auf Kunst, Geist und Sitte. Für uns gehört mehr dazu: Alle Veränderungen, die der Mensch mit Hilfe seines Denk- und Konstruktionsvermögens in und an der Natur vornimmt, gehört zweifellos zur Kultur.

Natürlich gehören Gesang und Musik, Spiel und Tanz zur „Naturfreunde-Kultur“, ebenso wie die Beteiligung an politischen Aktionen, die dem Schutze der Menschen und ihrer kulturellen Geschichte dienen.

Die Teilhabe an der Kultur – passiv genießend und aktiv gestaltend – ist ein Grundrecht. Es gehörte deshalb zu den immerwährenden Forderungen und den Aufgaben der Arbeiterbildungs- und Arbeiterfreizeitvereine. Ziel ist die Möglichkeit zur „freien Entwicklung eines jeden als Bedingung der freien Entwicklung aller“ (Zitat aus dem Londoner Manifest vom Februar 1848). Dem fühlen wie uns verpflichtet.

Höhepunkte der kulturellen Tätigkeit sind die jährlichen Treffen auf Landesebene und die gelegentlichen Bundestreffen. Dabei geht es einerseits um die Begegnung, das Wiedersehen alter und das Kennen lernen neuer Freunde (Auch das ist Kultur!); andererseits geht es darum, eine Landschaft mit allen ihren Schönheiten und Problemen zu erleben, wobei die Begegnung mit den Ansässigen der Region eingeschlossen ist.

Sport in der Natur

Es gibt Sportarten, die nur in der „freien Natur“ möglich sind: Wasserwandern und Kanufahren sowie Bergsteigen, und Skifahren, wobei letztere dank der Technik auch in Hallen möglich geworden sind. Für diesen Sport gibt es bei den Naturfreunden Fachgruppen mit Ausbildungsmöglichkeiten durch geprüfte Lehrkräfte. Um das Ausbildungswesen im Natursport haben sich die Naturfreunde seit vielen Jahrzehnten sehr verdient gemacht.

Höchstes Ziel der Ausbildung ist eine sichere Beherrschung des Sportes. Sicherheit geht vor Nervenkitzel, etwa beim Bergsteigen. Es braucht niemand zu kommen mit Schilderungen, wie kritisch und gefährlich eine Situation gewesen sei. Dem gut ausgebildeten und verantwortungsbewussten Sportler kann am Berg oder auf dem Wildwasser und am Skihang nichts Schlimmes passieren. Das ist jedenfalls die Meinung von Prof. Fritz Moravec, Wien, oftmaliger Expeditionsleiter ins Himalaya und andere hohe Gebirge, Begründer und 30 Jahre Leiter der Hochgebirgsschule der österreichischen Naturfreunde am Mooserboden bei Kaprun.

„Nur wer absolut sicher ist, kann die Freude am Berg wirklich genießen“, sagte Moravec immer wieder. Es wird weiterhin großen Wert darauf gelegt, dass bei den sportlichen Unternehmungen die Natur unbeschadet bleibt. Dies bringt Probleme mit sich. Skifahren auf Almen mit einer zu geringen Schneedecke schadet dem Untergrund, vernichtet die Grasnarbe und setzt das wenige Erdreich auf dem felsigen Untergrund der Erosion aus. Dies kann zur völligen Verkarstung des Berghanges führen – von den Veränderungen der Landschaft durch großflächige Baumaßnahmen zugunsten der kommerziellen Wintersportindustrie ganz zu schweigen. Auch das Kanufahren kann – unsensibel ausgeführt – der Natur Schäden zufügen..

Probleme gibt es in den unzähligen „Klettergärten“, den Übungswänden der Mittelgebirge, zum Beispiel bei Nideggen in der Eifel. Der Andrang von Kletterern ist so groß, dass die Natur Schaden nehmen muss, weshalb manche Bergwände zeitweilig oder ganzjährig gesperrt werden. Dies führt zu Protesten der Kletterfreunde, denn, sagen sie, auch der Mensch ist Teil der Natur und hat ein Recht darauf, die Natur für seine Zwecke nutzbar zu machen.

So wird denn die grundsätzliche Frage diskutiert, wie weit der Mensch ein Betretungsrecht an der freien Natur hat und wo es zum Schutze der Natur eingeschränkt werden darf und muss.

Und was gibt es sonst noch?

Eine Vielzahl spezieller Gruppen arbeitet, jede auf ihre Art, am Gesamtwerk der Naturfreunde mit: Musik- und Singegruppen, Volkstanzkreise, Fotogruppen, Bastelgruppen – und diese wieder mit verschiedenen Materialien arbeitend: Ton, Textil usw. Die Tätigkeiten finden weitgehend in eigenen Häusern statt. Nicht alles wird in jeder Ortsgruppe gemacht; es hängt stark von den Interessen der Mitglieder und den örtlichen Möglichkeiten ab. Unsere Esperantogruppen sind der internationalen Vereinigung der Esperantisten angeschlossen. Die Campingfreund treffen sich alljährlich mehrmals mit Freunden aus vielen Ländern Europas zu gemeinsamen Aktivitäten. Alle diese Tätigkeiten finden „unter Freunden“ statt und sind „für die ganze Familie“ geeignet.

Und was ist mit der Politik?

Verehrte Leserin, verehrter Leser, Sie haben (oder Du hast) schon einiges über die politischen Grundsätze des Vereins gelesen, aber so richtig konkret wurde es bislang nicht. Die Naturfreunde entstanden mit politischer Absicht. Sie haben sich auch früh in den zu ihnen passenden Bereichen engagiert. Zur Gründungszeit gab es in Österreich eine strikte Trennung: Die große und kleine Politik machten die Parteien, die soziale Besserstellung oblag den Gewerkschaften, für die so dringend notwendige und auch verlangte geistige und körperliche Entwicklung sorgten die Bildungs- und Freizeitvereine sowie die Arbeitersportverbände. Die Naturfreunde begannen aber bald, neben Naturschutz auch andere Politikfelder zu bearbeiten.

Sehr früh wurden antimilitaristische Bestrebungen laut. In Westdeutschland gehörten die Naturfreunde nach 1950 zu den entschiedenen Gegnern der Wiederbewaffnung. Sie waren Mitinitiator der Ostermärsche in der 60er und 80er Jahren, sie demonstrierten gegen die Notstandsgesetze, die sie für eine Form staatlicher Willkür hielten. Der NATO-Doppelbeschluss war ihnen suspekt, ebenso das SDI-Weltraumkriegsprogramm der USA und die Raketenrüstung in Ost und West. Aber auch die so genannte „friedliche Nutzung“ der Atomindustrie wird als zu gefährlich und als eine zu starke Belastung kommender Generationen abgelehnt.

Die Naturfreunde haben in zwei Diktaturen gelitten, haben ihr Vereinsvermögen verloren und ihre Mitglieder sind persönlich gedemütigt und gefoltert worden. Das hat sie empfindlich werden lassen gegen jede Art von Machtansprüchen undemokratischer Kreise. Und dazu gehören graduell auch die Mächtigen unserer Wirtschaft und die von ihr abhängige Politik.

Ausblicke …

Haben die Naturfreunde noch Aufgaben und somit eine Zukunft? Sind nicht die Probleme der Gründergeneration gelöst oder doch soweit gemindert, dass dieser Verein überflüssig ist?

Gewiss, viele Probleme sind in der Tat gelöst. Aber gibt es nicht neue? Die alten Ungerechtigkeiten sind durch neue abgelöst worden, neue Abhängigkeiten sind an die Stelle der alten getreten. Und wie oft ist es auch im demokratischen Staate nötig, laut und vernehmlich „Nein!“ zu sagen? Viel zu oft? Richtig. Wir Naturfreunde waren dazu noch nie zu bange. Und dabei spielt es keine Rolle, welche politische Partei gerade für uns unannehmbares beschließen oder verordnen will.

Solange Menschen die Macht auf Erden ausüben, wird es Ungerechtigkeiten geben und eben solange sind Menschen nötig, die darauf aufmerksam machen. Zu diesen gehören die Naturfreunde; man hat es ihnen bei ihrer Gründung in die Wiege gelegt.

Auch im privaten Miteinander sind Vereine wie die Naturfreunde notwendig. Das ist nicht unpolitisch: Der gezielten und gewollten Verdummung und Verrohung der Menschen durch immer neue Fernsehkanäle und Sendungen mit brutalem Inhalt muss entgegengewirkt werden. Der Familienkreis ist schon lange zum „Halbkreis vor dem Bildschirm“ verkümmert. Die Isolierung der Menschen am Arbeitsplatz tut ein übriges zur Vereinsamung, zu fehlender Kommunikation. „Teilen und herrschen“ – Losung der Herrschenden seit dem alten Rom.

Hier sind Vereine gefordert, die den Menschen Nähe und Wärme, die ihnen geistige Heimat bieten. Die Naturfreunde haben folglich auch nach über 100 Jahren Bedeutung und Daseinsberechtigung. Sie sind politisches Regulativ und zugleich Alternative zu vielen kommerziellen und unpersönlichen Freizeitgestaltern; sie sind eine Alternative zum Alleinsein, unter dem die Menschen in der Massengesellschaft leiden.

Mit immer noch jungendlichem Schwung sprang der Verein in sein zweites Jahrhundert. Er hat zwar nie durch besonders hohe Mitgliederzahlen beeindruckt, aber er hat häufig durch seiner Zeit weit vorauseilende Gedanken an der Entwicklung der Gesellschaft mitgewirkt – das sei in aller Bescheidenheit einmal gesagt.